Omote, ura -
Vorderseite, Rückseite

Franck Noel. Foto: Magnus Hartman.
Die meisten Aikidotechniken gibt es in zwei Versionen, 
die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie ihr Schwergewicht 
entweder auf irimi oder auf tenkan legen — der Schritt hinein oder 
der Schritt herum. Die Version, die auf irimi basiert, wird 
hauptsächlich vor dem Angreifer ausgeführt, während die andere 
Version eine Positionsveränderung um diesen herum und hinter 
diesen beinhaltet. Es pflegt für Anfänger im ersten Jahr des 
Aikidotrainings sehr schwer zu sein, diese zwei Versionen 
unterscheiden zu können und sie mit Verständnis für ihren Unterschied 
auszuführen. Selbst hatte ich in der entsprechenden Periode die 
bemerkenswerte Eigenheit an mir, dass ich, selbst wenn wir in der 
erstgenannten Form unterrichtet wurden, die zweite Form 
ausführte, ohne es zu merken, auch wenn wir diese noch nicht geübt 
hatten. Mein Lehrer zu jener Zeit, Allan Wahlberg, hatte mächtig 
Spaß damit. Selbst will ich glauben, dass das darauf beruhte, dass 
ich instinktiv nach der weichsten Möglichkeit suchte, dem Angriff 
zu begegnen, da ich verstanden hatte, dass das der Witz mit 
Aikido war, und da wurde die am meisten ausweichende Bewegung 
die natürliche.
      
	Als ich anfing, Aikido zu trainieren, war die 
Terminologie begrenzt und leidlich ins Schwedische gebracht, und so 
wurden die zwei Formen positiv und negativ genannt, während die 
korrekte japanische Bezeichnung omote und ura ist. Im Aikido 
werden diese Begriffe manchmal synonym mit irimi und 
tenkan gebraucht, da sie deutlich paarweise  zusammengehören, 
irimi/omote und tenkan/ura, so wie es weiter oben beschrieben 
wurde. Aber omote und ura sind komplexe Begriffe mit einer 
Bedeutung, die sich weit über die technische Terminologie des Aikido 
hinaus erstreckt.
      
	Omote bedeutet in etwa Vorderseite oder Außenseite 
und kommt ursprünglich von der Bezeichnung für die haarige 
Seite eines Pelzes oder die Außenseite eines Kleidungsstücks. Es 
handelt sich also um das Äußere, das Sicht- und Offenbare. Ura steht 
für die entgegengesetzte Seite, Rück- und Innenseite, das 
Verborgene. Ursprünglich bedeutet es Futter oder die haarlose Innenseite 
des Pelzes. Dieses Wortpaar kann daher mit den Gegensätzen 
offenbar und verborgen verglichen werden, oder, wenn man so 
will, mit aufrichtig und ausweichend. Ich habe nie den 
Eindruck bekommen, dass japanische Lehrer irgendeine moralische 
Wertung dahineingelegt haben, obwohl das für uns im Westen 
naheliegen würde. Eher ist mein Eindruck, dass sie das Ganze wie 
die zwei Seiten einer Münze sehen, so unvermeidlich wie eben 
die Tatsache, dass ein Kleidungsstück sowohl Innen- als 
Außenseite hat.

Yin-yang (in-yo). Stefan Stenudd.
      
	Im Training zieht man einen deutlichen Gewinn 
daraus, wenn man versucht, sich in diese Gegensätze respektive 
Charaktere einzuleben, so dass die Omoteformen einer Technik 
nahezu aufdringlich durchgeführt werden können, mit der starken 
Einstellung, dem Angriff möglichst schnell zu begegnen — 
natürlich trotzdem mit einer weggleitenden Körperdrehung, tai sabaki, 
so dass man nicht mit der Kraft des Angriffs zusammenstößt 
- während ura so ausgeführt wird, dass man schon bei der 
initialen Begegnung sozusagen für den Gegner verschwindet, aus 
dessen Sichtfeld, und weiter weggleitet, in den Schatten hinein. 
Das kann man im höchsten Grad mit den chinesischen 
Gegensätzen yin und yang vergleichen, die auf japanisch in und yo heißen, 
welche mit ihrer ursprünglichen Bedeutung Schattenseite und 
Sonnenseite deutliche Parallelen zu ura und omote sind. Bei der 
Ausführung von omote soll die Attitüde 
immer mit yang vergleichbar sein, das als extrovert, hell, warm 
beschrieben wird und traditionell als maskulin gilt. Die Uraversion sollte 
hingegen yin gleichen, das als introvert, dunkel, kalt und traditionell 
feminin gilt. Man kann an und für sich gern die Geschlechterrollen 
diskutieren, die darin liegen.
      
	Ein anderes Gegensatzpaar, das mit omote und ura 
verwandt ist, ist der alte Budobegriff shoden und okuden, die vorderen 
oder ersten Lehren respektive die inneren oder tiefen Lehren. 
Einige Budostile legten großen Wert darauf, ihre Kunst auf diese 
Weise aufzuteilen, wobei ein Anfänger lange und gut shoden 
üben musste, bevor er als reif angesehen wurde, in okuden 
eingeweiht zu werden — für einige wurde das nie aktuell. In gewissen 
Iaidostilen zum Beispiel gibt es immer noch eine solche 
Aufteilung, aber inzwischen gibt es keine Restriktionen, die einen 
Anfänger davon abhalten können, beide Arten zu trainieren.

Hans Gauffin. Foto: Magnus Hartmann.
      
	Im Aikido gibt es keine Aufteilung in shoden und 
okuden, ich glaube, der Gedanke wäre sehr fremd für osensei — auch 
wenn er ein klein wenig zurückhaltend damit war, andere als seine 
Lehrer in Kontertechniken, kaeshiwaza, zu unterweisen. 
Ebensowenig hatte Miyamoto Musashi, der legendäre Samurai, der im 
17.Jahrhundert lebte und das immer noch vielgelesene "Buch der 
fünf Ringe" schrieb, irgendwelchen Respekt vor dieser Aufteilung. 
Er erklärt kategorisch, dass es "im wirklichen Kampf nichts 
derartiges gibt, wie mit einer äußeren Technik zu schlagen und mit 
einer inneren Technik zu hauen". Er gibt gewiss zu, dass es 
einfachere und tiefere Dinge innerhalb der Kampfkünste gibt, welche 
die Schüler sich während ihrer Entwicklung mit 
unterschiedlicher Leichtigkeit aneignen können, aber er behauptet mit 
Bestimmtheit, dass es nicht geht, die Techniken danach zu sortieren. 
Inneres und Äußeres gehen unausweichlich ineinander auf: 
"wenn man tiefer und tiefer in den Berg eindringt, wird man sich mit 
der Zeit wieder an einem Eingang befinden."

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Stefan Stenudd
About me
I'm a Swedish author of fiction and non-fiction books in both English and Swedish. I'm also an artist, a historian of ideas, and a 7 dan Aikikai Shihan aikido instructor. Click the header to read my full bio.