Kein Gegner,
kein Kampf

Jan Nevelius und Jorma Lyly, 1998. Foto: Jöran Fagerlund.
Das Aikidotraining selbst ist denkbar klar in seiner Form. 
Einer greift an und einer verteidigt sich — der erste mit einem 
Griff, einem Schlag oder einer der vielen Waffen der Kampfkünste, 
der zweite mit den weggleitenden Aikidobewegungen.
      
	Die Angriffstechniken sind kein Aikido. Sie können von 
den anderen Kampfkünsten entliehen sein, oder ganz einfach ein 
Griff oder Schlag, welcher überhaupt nicht zu einer Kunst 
entwickelt wurde. Es ist nur die Verteidigung, die Aikdio ist. Diese 
Verteidigung darf auch nicht im geringsten aggressiv ausgeführt 
werden, etwa um den Gegner zu unterwerfen und als Sieger 
dazustehen. Wenn es einen Sieger gibt, so sagt das Aikido, so gibt es 
in Wirklichkeit zwei Verlierer. Die Techniken des Aikido 
sollen gekennzeichnet sein von unendlicher Folgsamkeit, sie führen 
die angreifende Kraft sanft an seinem Ziel vorbei und in Bogen 
auf einen harmlosen Schluss zu, in dem keiner Schaden nimmt. 
Sie sollen in einem friedvollen Geist ausgeführt werden, so als 
hätte ein Streit nie stattgefunden, und sollen sowohl den 
Angegriffenen als auch den Angreifenden vor Schaden bewahren.
      
	Das Ideal ist nah, wenn ein außenstehender Beobachter 
sicher ist, dass der Verlauf zwischen Angreifer und Verteidiger 
abgesprochen ist, wenn es für ihn wie Mogelei aussieht. 
Idealerweise soll der Angreifer im Verlauf der Bewegung nie etwas 
anderes denken, als dass sie so verläuft wie gewünscht und 
beabsichtigt, dass das, was geschieht genau das ist, worauf der Angriff 
von Anfang an hinzielte.
      
	Eine gute Weise, Aikido zu beschreiben ist zu sagen, 
dass man nicht versucht, einen Angriff abzuwenden, sondern ihm 
zu seiner Vollendung zu verhelfen. Derjenige, welcher Aikido 
nicht trainiert, um seine eigenen Bewegungen beherrschen zu 
lernen, sondern als eine Möglichkeit, dem Anfallenden zur 
Vollendung seiner eigenen Bewegungen zu verhelfen, hat sicher eine 
große Anmut in seiner Ausführung. So gesehen ist es völlig 
einleuchtend, dass man in Aikido von Partnern, nicht von 
Gegnern spricht. Aikido soll beiden Übenden genauso behilflich sein.
      
	Ebenso hat in einem solchen Ideal der Wettkampf 
keinen Platz. Ein Wettkampf setzt voraus, dass des einen Vorteil 
des anderen Nachteil ist, dass zwei Personen nicht gleichviel 
Gewinn haben oder das gleiche Ziel erreichen können. Statt dessen 
versuchen die Gegner in einem Wettkampf, den Gegener so 
schwach und plump wie möglich zu machen. Eine solche Einstellung 
vergrößert Konflikte anstatt sie zu lösen, härtet die 
Ausführenden anstatt sie weicher zu machen. Und die Grenze für die 
Entwicklung eines Menschen wird auf diese Weise ganz und gar vom 
Vermögen seines Gegners bestimmt. Für Aikido ist diese Grenze 
viel zu eng. Wenn beide Übende stattdessen zusammenarbeiten, 
können sie einander helfen und sich weit über die Grenzen 
dessen hinaus entwickeln, was ihre Voraussetzungen zu sein schienen.
      
	Man wechselt sich ab. Zuerst greift der eine an, dann 
der andere. Ein korrekter Angriff setzt große Energie und 
Kraftansammlung voraus, die Verteidigung kann dagegen in 
entspanntem Zustand und in Folgsamkeit vor sich gehen. Der gerade, 
unbeugsame Angriff trifft auf eine ausweichende Verteidigung. 
Die gerade Linie des Angriffs wird in einen Bogen geführt, der 
genau dort aufhört, wo der Angreifende begonnen hat. Die Kraft 
kehrt zu ihrem Ursprung zurück und gar nichts ist geschehen. 
Gut ausgeführt wird die Bewegung in keiner Weise ein 
Kampf, sondern ein Tanz. Ein weicher Tanz ohne Kollisionen, ohne 
das Messen von Kraft.
      
	Ebenso ist es wichtig im Aikido, die Techniken nicht 
als Konter, als Reaktionen auf plötzliche Angriffe zu sehen. Die 
Techniken sind Bögen und Spiralen, die sich ständig im 
Trainierenden bewegen — und im Raum der ihn umgibt. Das ist ungefähr 
das selbe wie der Tanz, der sich in der Melodie und im Rhythmus 
der Musik verbirgt. Was der Angreifende macht, ist ganz einfach 
eine Aufforderung zum Tanz.
      
	Die Bewegungen kommen völlig natürlich aus der 
ständigen Gegenwart dieser Musik und dem einleitenden Schritt des 
Partners.
      
	Die Musik des Aikido ist der Fluss von Energie, eine 
Bewegung, die ständig in unserem lebenden Kosmos vorhanden 
ist. Wenn es die Bewegung nicht gäbe, würde es kein Leben 
geben. Leben ist Bewegung, Existenz ist Bewegung. Aikido öffnet 
sich für die ständige Beweglichkeit des Daseins und macht sie sich 
zu eigen. Die Techniken sollen so natürlich sein wie die 
fundamentale Bewegung der Natur.

      
	Diese Bewegung ist harmonisch. Gewaltige 
Himmelskörper kreisen elliptisch umeinander, Atome vibrieren in einem 
unbegreiflichen Leerraum, Hunderte von Tierarten bewegen sich 
unablässig umeinander im kleinsten Gehölz. Natürlich kommt es 
vor, dass sie zusammenstoßen, mit oder ohne Absicht, aber jeden 
Teil der Natur kennzeichnet vor allem eine Balance, eine 
reibungsfreie Ordnung zwischen allen Dingen. Das auf den ersten Blick 
zufällig wirkende Muster aller kleinen Bewegungen strebt ständig 
nach Frieden und Ruhe, wie eng die Ansammlung auch ist.
      
	Alles bewegt sich, immer. Deshalb gibt es niemanden 
der anfängt, und auch niemanden, der aufhört. Der Wirbel 
der Bewegungen ist unabgeschlossen, ständig und überall 
fließend. Im Aikidotraining kommt es nur dazu, dass zwei Personen das 
ab und zu sichtbar machen. Es kann keinen Gewinner oder 
Verlierer geben, nicht einmal einen Initiator, in diesem Kontinuum! 
Was vor sich geht ist lediglich, dass der Angreifer versucht hat, 
sich gegen die natürliche, harmonische Beweglichkeit 
aufzulehnen, und deshalb mild zu ihr zurückgeführt wird. Konflikt zu 
suchen heißt sich in der Bewegung der Natur zu verirren — das ist 
nur möglich, wenn man aus dem Gleis seiner eigenen 
natürlichen Bewegung ausgespurt ist. Die Techniken des Aikido haben 
kein anderes Ziel als den Verirrten zurück auf sein eigenes Gleis 
zu führen.
      
	Aikidotechniken werden dann richtig ausgeführt, wenn es 
in dem Geist geschieht, dass sie bereits ausgeführt wurden. Weil 
es sich nur darum handelt, den Partner zurück zum 
natürlichen Zustand zu führen, gibt es nur zwei Punkte: zuvor, als alles 
so war, wie es sein sollte, und danach, da alles wieder so ist wie 
es sein soll. So als reichte man jemandem seine Hand, der 
strauchelt, oder als weckte man jemanden der eingenickt ist. Wenn die 
Bewegung beginnt, ist sie schon ausgeführt. Es gibt 
verständlicherweise keine Möglichkeit sie abzubrechen.
      
	Die natürliche Bewegung ist allumfassend und 
allmächtig. Gegen sie zu verstoßen, beispielsweise in einem Angriff, ist 
deshalb unendlich anstrengend. Aber den Angriff zurück zur 
Harmonie zu führen ist nur erholsam. Wer einen 
harmonischen Menschen angreift, versucht, die Ordnung der Natur zu 
stürzen, und das kann nicht glücken. Die Person, die den Angriff 
abwendet und die Balance bei seinem Angreifer wieder herstellt, 
tut nichts anderes als den Naturgesetzen zu folgen und kann 
deshalb nicht scheitern. Es gilt nur, das zu erkennen, und dann, es 
zu leben.

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Stefan Stenudd
About me
I'm a Swedish author of fiction and non-fiction books in both English and Swedish. I'm also an artist, a historian of ideas, and a 7 dan Aikikai Shihan aikido instructor. Click the header to read my full bio.